Der schwarze Wimpel kennzeichnete die „Arbeitsscheuen“ und „Assozialen“

Hans-Dieter Schmid erinnert an vergessene Opfergruppe des NS-Terrors

BARSINGHAUSEN (dw). Die Siegfried-Lehmann-Stiftung hat am 69. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz mit einem Vortrag an die Opfergruppe der „Arbeitsscheuen Reich“ erinnert.

Hans-Dieter Schmid spricht im Haus der Mariengemeinde über die NS-Opfer "Arbeitsscheue Reich".

Hans-Dieter Schmid spricht im Haus der Mariengemeinde über die NS-Opfer „Arbeitsscheue Reich“.

„Eigentlich verstehe ich unsere Vorträge als wissenschaftlich begleitete, kulturelle Veranstaltung“, sagte Klaus-Detlef Richter als Vorsitzender der Stiftung zur Begrüßung der Gäste. Doch zeigten aktuelle Ereignisse wieder, dass man immer noch gegen Antisemitismus und gegen Rassismus angehen müsse. „Deshalb ist es wichtig, die Erinnerung weiter wach zu halten“, sagte Richter.

Der Historiker Hans-Dieter Schmid informierte über die Opfer des Nationalsozialismus, die ab 1938 per Erlass als „Arbeitsscheue“ und „Asoziale“ verfolgt wurden. In zwei Verhaftungswellen wurden im April und Juni 1938Männer im arbeitsfähigen Alter, aber ohne Arbeit, sowie „Bettler, Dirnen, Trunksüchtige und Landstreicher“ von der Kriminalpolizei inhaftiert und in den Konzentrationslagern Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen unter unwürdigen Bedingungen zur Arbeit gezwungen. „Zu der Zeit herrschte bereits Arbeitskräftemangel“, sagte Schmid, so dass die KZs in diesen Fällen zur Arbeitsausbeutung dienten. Außerdem wurde der Bevölkerung mit der Entfernung unliebsamer Zeitgenossen aus dem Straßenbild die Notwendigkeit der KZs  eingeredet. Insgesamt fielen etwa 11400 Menschen diesen Verhaftungswellen zum Opfer, zumal die Kriminalpolizei laut Schmid sehr großzügig in der Auswahl der Betroffenen vorging.

Im KZ wurden diese Menschen mit einem schwarzen Wimpel und den Buchstaben ASR gekennzeichnet.

Reinhard Dunkel hat über den Egestorfer Heinrich Glißmeyer geforscht.

Reinhard Dunkel hat über den Egestorfer Heinrich Glißmeyer geforscht.

Ein Betroffener in dieser Verhaftungswelle sei der gelernte Kaufmann Heinrich Glißmeyer aus Egestorf gewesen, sagte Schmid. Als Kuratoriumsmitglied hatte der ehemalige Pastor der Christus-Kirchengemeinde in Egestorf, Reinhard Dunkel, Nachforschungen nach Glißmeyer vorgenommen. Er berichtete über seinen Kontakt zu der Tochter des Ermordeten, dass Gißmeyer als freier Anwalt für arme Leute gearbeitet hatte, bis die Gesetzgebung der Nazis es Nicht-Juristen verbot, am Gericht tätig zu sein. Zuletzt habe er in der Dynamitfabrik in Empelde gearbeitet. Dort habe es aber offenbar Schwierigkeiten gegeben, so dass er kurzerhand unter der Gruppe der Arbeitsscheuen verhaftet wurde. Glissmeyer wurde bereits im Juli 1938 im KZ Buchenwald ermordet. Die Siegfried-Lehmann-Stiftung hatte in ihrer Aktion für die NS-Opfer einen „Stolperstein“ verlegt.

Mehr als 50 Gäste waren gekommen, um über die relativ unbekannten Seiten der Willkürherrschaft der Nationalsozialisten mehr zu hören. „Das sind doppelt so viele, wie sonst zu unseren Vorträgen kommen“, freute sich Richter.

Foto: dw