Eindrückliche Geschichten ohne Belehrung: Die Autorin Ursula Krechel liest aus ihrem Buch „Geisterbahn“

BARSINGHAUSEN (red).

Am gestrigen Donnerstag gastierte die Schriftstellerin Ursula Krechel auf Einladung von „Barsinghausen ist bunt“ in der Mariengemeinde. Sie erklärte zunächst den gespannten 40 Zuhörerinnen und Zuhörern den Aufbau des Romans: verschiedene Stränge von Lebensgeschichten von Menschen aus ihrer Heimatstadt Trier geflochten zu einem Zopf. Die Geschichte/n spielen sich von Anfang der 30er bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts ab und sind angelehnt an wahre Biografien. An diesem Abend konzentrierte sie sich auf den Erzählstrang über Aurelia Torgau, die spätere Orli Wald, denn diese hat nach dem Krieg in Hannover gelebt. Aurelia war von Jugend an Kommunistin, sie gehörte einer Widerstandsgruppe an, die von Trier aus auch Kontakte nach Frankreich und besonders Luxemburg hatte. Sie heiratete Fritz Reichert, der zunächst Kommunist war, dann aber, zunehmend eifersüchtig auf ihre Aktivitäten, sich von seiner Überzeugung und ihr abwandte. Aurelia wurde nach einem Verrat 1936 verhaftet. Ihr Mann ließ sich scheiden, weil er inzwischen vom Nationalsozialismus überzeugt sei. Vor Gericht wurde sie übrigens, so wusste ein Zuhörer zu berichten, von dem Barsinghäuser Armenanwalt Heinrich Glissmeier verteidigt, der später selbst von den Nazis verfolgt wurde. Für Aurelia begann nun eine Leidenszeit in Gefängnissen und Konzentrationslagern von der sie sich bis zu ihrem frühen Tod nicht erholte. Der Weg führte über Ziegenhain und Ravensbrück nach Auschwitz.  Im Lager wurde sie  zur Krankenpflegerin ausgebildet, was wohl letztendlich ihr Überleben sicherte. Sie versuchte,  viele Frauen vor dem Tode zu retten, hatte jedoch bis ans Lebensende immer das Gefühl, nicht genug geschafft zu haben. Während der Lagerhaft begann sie, sich vom (Sowjet-)Kommunismus abzuwenden  und wurde schließlich Sozialdemokratin wie ihr zweiter Ehemann Eduard Wald, dem sie nach Hannover folgte. Ursula Krechel wusste zu berichten, dass die Angehörigen Orli Walds in Trier sich sehr freuten, als ihr in Hannover eine Straße gewidmet wurde, die Orli-Wald-Allee. In der anschließenden Gesprächsrunde wurden ihr Fragen zu ihrer Arbeitsweise gestellt. Sie erzählte, dass sie für alle ihre erfolgreichen Romane – „Shanghai fern von wo“ und „Landgericht“ z. B. – umfangreich Originaldokumente recherchiert und anschließend das Leben der Protagonist*innen zu Romanen entwickelt habe. Viele Zuhörende machten deutich, wie beeindruckt sie von Krechels Arbeit seien und gaben ihrer Bewunderung Ausdruck. Ursula Krechel versteht es zu beschreiben, wie Ausgrenzung, Verletzung und Vernichtung von Menschen durch das Nazi-Regime funktionierten, was sie mit den Menschen gemacht haben, mit den Opfern, den Tätern und den sogenannten Mitläufern, und wie sie oftmals nahezu bruchlos in die neue Republik weiterwirkten. Sie erzählt nicht abstrakt, allgemein, theoretisch, sondern konkret das Leben der  Menschen ohne je zu belehren. Gleichwohl drängt sich die Erkenntnis auf: das darf nicht wieder passieren, passt auf! Traurig war, dass an diesem Abend zum Gedenken an die Opfer eines Rassisten in Hanau aufgerufen werden musste.

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