BARSINGHAUSEN (hhn).
Im Historisch-Politischen Colloquium berichtete Helge Regner am Mittwoch über die Arbeit der Recherche und Informationsstelle für Antisemitismus (RIAS) in Niedersachsen. Sie bildet inzwischen eine eigene kleine vom Land unterstützte Institution und sammelt Informationen über antisemitische Vorfälle. Regner gab einen Überblick über die Entwicklung von gegen Juden gerichteten Feindbildern von kirchlicher Antijudaistik über nationalsozialistischem Rassismus bis zur „Post-Schoa“-Zeit und bot viele Bild- und Text-Beispiele, z.B. aus Mythen von ritueller Opferung christlicher Kinder oder aus der aktuellen Politik, etwa wenn dem Ministerpräsidenten Niedersachsens eine Kipa aufgemalt wird. Auf die „Post-Schoa“ Kritik ging Regner besonders ein, z.B. auf die Übernahme nationalsozialistischer Propaganda in einem Plakat, in dem Ratten vom Tempelberg gefegt werden, oder auf „Free Palestine from German guilt“ Thesen. Auch Verschwörungstheorien wurden skizziert, z.B. dass Juden die Covid-Seuche initiiert hätten. Antisemitische Vorfälle hätten nach dem Hamas-Überfall am 7. Oktober und der Reaktion Israels deutlich zugenommen. Der Vortragende erklärte jedoch auch, dass RIAS Kritik am Staat Israel nicht sammelt, wenn diese mit Kritik an anderen Ländern vergleichbar ist, oder positiv formuliert nur solche Kritik sammelt, welche die Kritik des Staates Israel an antisemitische Topoi bindet.
Die lebhafte Diskussion der großen Runde bot viele Nachfragen zu Sachaussagen, aber auch kritische Ansätze – z.B. Versuche zur Erklärung von Antisemitismus bei zu tragen, indem er auch als Reaktion auf die geschlossenen Heiratskreise jüdischer Familien oder als Reaktion auf den jüdischen Bildungs- und Mobilitäts-Vorsprung bei der Durchsetzung der Moderne verstanden wird. Mehrfach wurde nach der Rolle des Zionismus, also der Wirkung der Nationalstaatsbildung gefragt. Diskutiert wurde auch, was Bildung gegen Antisemitismus bewirken kann – allerdings gab es neben dem (vielleicht etwas stereotypen) Hoffnungen auf aufklärerische Arbeit in vielen Angeboten der VHS allgemein und des Colloquiums im Besonderen auch einen tiefgreifenden Skeptizismus, dass die antisemitischen Gruppen in der Gesellschaft davon nicht erreicht werden würden.