Historisch-Politisches Colloquium diskutiert über Katalonien

BARSINGHAUSEN (hhn).

Rosemarie Brinkmann skizzierte im Historisch-Politischen Colloquium die Geschichte Kataloniens von den Zeiten der „Spanischen Mark“ des Frankenreiches bis zu den Unabhängigkeitsbestrebungen der Gegenwart, mit Blütezeiten im späten Mittelalter und in der Industrialisierung, aber auch Rückschlägen wie dem Ausschluss vom Amerikahandel in der Glanzzeit Kastiliens und vor allem den Vernichtungen des Bürgerkriegs 1936 bis 1939. Auch, weil die Region eines der industriellen Zentren Spaniens war, unterstützten die meisten Katalonier den Übergang zu einem parlamentarischen System nach 1931, der für Katalonien eine größere Autonomie brachte. Die Provinz wandte sich entsprechend gegen den Putsch autoritärer, z.T. faschistischer Nationalisten aus Kirche, Großgrundbesitz und Militär 1936. Die Linke war aber zerstritten – es gab sogar Versuche, eine anarchistisch strukturierte Gesellschaft zu gründen, und viele kämpften in syndikalistischen „Kolonnen“ gegen die Armee. Um die Autonomie der Region zu sichern, nahmen aber auch viele bürgerliche Katalanen die Partei der Republik gegen die putschenden Generale, die verboten, die katalanische Sprache zu benutzen, um Größe und Einheit Spaniens zu betonen.

Nach der Niederlage der Republik 1939 flohen über eine halbe Million Katalanen nach Frankreich, wo sie in Internierungslagern mehr schlecht als recht vegetierten. Die Schätzungen der Todesfälle im Bürgerkrieg für ganz Spanien reichen von 600.000 bis zu einer Million. Die Repression der katalanischen Kultur ging bis zum Tod des Diktators Franco 1975 weiter. Aber während das kastilische Spanien im neuen parlamentarischen Königreich die Verbrechen der Franco-Zeit lange in einem „Pakt des Schweigens“ verdrängte, wollten man in Katalonien die Autonomien von 1931 zurück und kämpfte für eine Aufarbeitung der Geschichte.

In der Diskussion ging es vor allem um systematische und aktuelle Fragen. Wenn die Lehrbücher noch lange dozierten, dass Katalanisch keine eigene Sprache sei, ging es um die Unterscheidungen nicht nur innerhalb der – hier romanischen – Sprachfamilie, sondern auch um die Frage, wann aus einem Dialekt eine Hochsprache gemacht wurde – war und ist die Wahl zur „Staatssprache“ entscheidend? Aber auch praktische Fragen wurden diskutiert – führt die Autonomie Kataloniens im Rahmen der parlamentarischen Monarchie der Gegenwart nicht zu einer Bevorzugung? Und: wie viele haben sich mit den jetzigen Vorgaben aus Madrid arrangiert?

Mit der Frage nach der Sonderrolle „kleiner Nationen“ im Rahmen demokratischer Staaten und darüber hinaus in der Europäischen Union hat die Vortragende ein strukturelles Problem der Moderne angesprochen, von Wales oder Schottland im Rahmen des Vereinigten Königreichs bis zu Abchasien und Süd-Ossetien im Rahmen der Republik Georgien (oder eben Russland), von den Sorben in Deutschland oder den Magyaren in Rumänien zu schweigen. Welche Rolle soll eine sprachlich und kulturell definierte Nation Katalonien zwischen der (seit 1659 französischen) Roussillon und Valencia im Verhältnis zu den Nationalstaaten Spanien und Frankreich spielen?