Ich heiße Shahir und bin in Kabul aufgewachsen

Im Rahmen der Interkulturellen Woche stellt der Runde Tisch für Integration geflüchtete Menschen in Barsinghausen vor

„The only way to do great work is to love what you do and be different“, sagt Shahir.

BARSINGHAUSEN (red). Mein vollständiger Name lautet Habibullah Shahir, ich möchte mit Shahir angesprochen werden, mein Vorname ist zu lang und zu umständlich. Ich komme aus Afghanistan und bin in der Hauptstadt, in Kabul, aufgewachsen. Dort bin ich auch zur Schule gegangen. Meine Muttersprache ist Dari. Ich bin Moslem und jetzt 20 Jahre alt. Meine Eltern leben in Kabul. Ich habe noch drei Brüder, zwei sind noch sehr jung, sie leben bei meinen Eltern in Kabul  und gehen noch zur Schule. In Afghanistan hatten wir ein gutes Leben, ich war wie ein König oder der Sohn von einem König. Alle kannten uns und haben uns gegrüßt. Hier habe ich nichts. Aber das macht nichts. Probleme sind Erfahrungen, ich versuche das positiv zu sehen. Ich habe guten Kontakt zu meinen Eltern und zu meiner Familie in Kabul. Wir sprechen fast täglich über das Internet zusammen. In Kabul haben wir in einem ganz normalen Apartment gewohnt in einem großen Haus mit anderen Wohnungen. Jeder von uns in der Familie hat ein Zimmer. Wir haben dort nicht Möbel wie hier, keine Sofas z.B. und wir essen nicht an einem Tisch. Wir haben viele Teppiche und Sitzgelegenheiten fast auf dem Boden. Da sitzen wir alle zusammen bei den Mahlzeiten. Es ist normal nur mit der Hand zu essen, aber wir essen auch mit Bestecken. Mein Vater ist Journalist, meine Mutter ist Anwältin. Meine Mutter arbeitet nicht mehr. Das ist zu gefährlich für sie als Frau in unserem Land. Sie ist zu Haus. Wenn sie das Haus verlässt, trägt sie ein loses Kopftuch, sie muss nicht verschleiert gehen in Afghanistan. Im Alltag haben wir normale Kleidung getragen, so wie hier auch, Jeans, Pullover, Sneaker und so. Aber zu großen Festen oder Feierlichkeiten tragen wir Männer Perahan Tumban und Kurta, das sind ein langes Hemd und eine weite Hose. Auch ich habe das getragen, das war ganz natürlich für mich. Ich habe schon als  Schüler immer viel Interesse an Computern und den neuen Medien gehabt und nebenbei bei einem TV- Kanal mitgearbeitet. Schließlich habe ich deshalb  Probleme mit den Taliban bekommen. Taliban, das sind nicht nur die Männer mit den langen Kleidern, Bärten und dem Turban, so wie hier viele ein Bild haben. Manchmal sehen sie ganz normal aus, in Jeans und Pulli und sind doch Taliban, extreme Islamisten und Fanatiker. Man kann keinem trauen auf der Straße und nicht frei sprechen. Jeder könnte ein Taliban sein oder einen verraten. Sie schlagen einen, sie haben mich mit dem Messer am Bein verletzt, bedroht und gesagt, ich soll aufhören, das zu machen, für das Fernsehen Filme zu drehen und zu berichten. Auch meinen Vater haben sie bedroht. Dann hat mein Vater schließlich gesagt, es ist besser, wenn wir älteren Söhne, mein Bruder, er ist 18 und ich,  das Land verlassen. Er wollte das. Im April 2016 haben wir das Land verlassen.

Zur Vorbereitung  habe ich einen A1 Sprachkurs  Deutsch in Kabul gemacht. Wir wussten schon viel, als wir hier ankamen und es war hier fast so, wie ich gedacht habe. Wir wussten, dass die Deutschen immer sehr direkt sind z. B. , und so war es dann auch. Auch unsere Verwandten, die schon länger in Deutschland leben, hatten von dem Leben hier berichtet. Es hat mich hier nichts schockiert. Wir sind über den Iran in die Türkei geflogen. Dann sind wir zu Fuß, mit dem Zug, mit Autos oder Bussen die Balkanroute über Bulgarien, Rumänien nach Österreich gegangen. Wir waren fast 6 Monate unterwegs. In Österreich waren wir fast drei Monate im Lager unter ganz schlechten Bedingungen  Wir hatten wenig Essen, kein Geld und es waren viele Menschen auf engem Raum zusammen. Das war schwer. Am 11. September 2016 sind wir in Deutschland angekommen. Ich wusste nicht genau, was unterwegs auf mich zukommt. Ich bin von zu Haus weggegangen und habe mir offen gelassen, ob ich von Istanbul wieder zurück fliege nach Kabul. Ich war zuerst zur Probe unterwegs, es war kein Abschied für immer. Ich habe immer viel Angst gehabt, aber ich war die ganze Zeit mit meinem Bruder zusammen. Das war sehr gut für mich. Mein Bruder ist ganz anders als ich. Er ist viel praktischer. Ich habe immer im Zimmer am Computer gesessen, er nicht, er war viel draußen. Er kannte das Leben auf der Straße und ihm konnte ich trauen. Wir hatten unser  Geld in unserer Kleidung versteckt. Wenn die Schlepper Geld sehen, wollen sie alles nehmen. Wir mussten immer aufpassen. Das war sehr schwer für uns. Wir haben ganz schlimme Sachen unterwegs erlebt und gesehen, sexuelle Belästigungen und Ärger von anderen und so.  Ich hatte  z.B. bis dahin noch nie die ganze Nacht draußen verbracht. Es gab viel Stress,  aber es gab auch gegenseitige Hilfe. Insgesamt waren es 6000 km. Ich glaube es selbst nicht bis heute. Aber ich habe das alles vergessen von der Zeit unterwegs und ich will nicht daran denken. Ich habe nur meinen Passport mitgenommen, ein Handy, eine  Jeans, einen Pullover, alles andere haben wir unterwegs gekauft, wenn wir etwas brauchten. Wir wollten möglichst kleines Gepäck haben.

Hier in Deutschland haben die Menschen vieles sehr gut gemacht für uns. Es gibt viel Hilfe. Das alles hilft zu vergessen. Vielleicht nehme ich später einmal psychologische Hilfe für mich, wenn ich nicht wirklich vergessen kann,  jetzt nicht. Jetzt habe ich andere Ziele.  Ja, die Sprache ist schwer, aber ich habe einen Deutschkurs und lerne. Ich weiß,  wie die Flüchtlinge in Griechenland leben. Ich vergleiche das und will Geduld haben. Am Anfang war es schwer, Kontakt herzustellen. Ich kann sehr gut Englisch sprechen, das hilft bei der Verständigung. Und auch als ich unterwegs war, habe ich immer helfen können mit Dolmetschen, Dari-Englisch. Das war gut für alle. Ich habe ein bisschen Familie auch hier in Deutschland, einen Onkel und eine Tante in Hannover. Dort bin ich oft. Jetzt wohne ich in Bantorf, in dem sogenannten Hotel. Das ist für mich in Ordnung, solange ich noch keine eigene Wohnung mieten kann. Ich warte auf meine Aufenthaltserlaubnis, dann will ich studieren und einen Master in Informatik machen. Diese beiden Sachen…, das ist das Wichtigste. Religion und Rassismus sind ganz unwichtig für mich im Augenblick. Ich kann auf keinen Fall zurückgehen, auch wenn ich gar nichts gemacht habe. Ich werde getötet, wenn ich zurück gehen müsste. Ich habe kein Leben in Afghanistan wegen meiner Ideen über den Islam und das Leben in Afghanistan.  Weil ich jetzt schon in Deutschland gelebt habe, sagen die Taliban von mir, ich habe etwas gegen Afghanistan gemacht. Vielleicht kann ich später eine eigene Familie hier haben, das kann ich mir jetzt nicht vorstellen, vielleicht nach dem Studium. Ich bin noch jung, ich denke nicht daran, was ist, wenn ich alt bin.

Foto: privat