„Mein Kind ist kein wildes Tier“

In einem Leserbrief kritisiert ein Elternteil die Form der Werbekampagne der Stadt für mehr Personal in der Kinderbetreuung

BARSINGHAUSEN (red). „Sehr geehrter Herr Lahmann, sehr geehrter Herr Reich,

während eines Spazierganges wurde ich auf ihre Stellenwerbung an einem der städtischen Fahrzeuge aufmerksam. Werbung soll, so allseits bekannt, die Verbraucher erreichen; Werbung spricht Emo­tionen an, kann manipulieren, anregen und provozieren. Letzteres ist ihnen mit ihrem Werbeslogan „Wollen sie wilde Tiere bändigen?“ und der Angabe, dass sie pädagogisches Fachper­sonal für ihre Kindertagesstätten suchen, gelungen. Zwar ist mein Kind sowohl mit Atmungs- und Sinnesorganen ausgestattet und versteht sich frei zu bewegen, allerdings muss ich ihnen mitteilen, es besitzt sowohl sprachliche als auch kognitive Fähig­keiten, kann Handlungen verknüpfen und komplexe Zusammenhänge altersgerecht verstehen und wiedergeben. Mein Kind spielt gern mit anderen Kindern, hat Bedürfnisse nach Nähe und Geborgenheit, Interaktion und nach Wissen, wie die Welt funktioniert in der es sich befindet. Was ich ihnen damit sagen will? Mein Kind ist kein wildes Tier! Weiter frage ich mich, welches Signal soll dieser Slogan eigentlich an uns als Eltern sein? Etwa dieses:

„In Zeiten des Fachkräftemangels machen wir uns nun nach Jahren des Winterschlafs auch in der Stadt Barsinghausen auf den Weg und suchen Personal für unsere Kindertages­stät­ten. Haben sie einmal als Hundesitter gejobbt oder Katzen während des Urlaubs betreut? Prima! Dann besitzen sie bereits alle Fähigkeiten die man für den Job in einer Barsing­häuser Kindertagesstätte benötigt. Bewerben sie sich bei uns!“

Sind sie es nicht, die in Ihrem Leitbild mit folgenden Sätzen werben: Wir schauen auf jedes Kind indi­viduell, wir übernehmen Verantwortung, wir machen fit fürs Leben, wir schaffen Bildungsangebote und zuletzt der wohl unpassendste Satz im Zusammenhang mit ihrem Slogan „wir sind wertschät­zend“. Wen genau meinen sie an dieser Stelle? Wem wollen sie wertschätzend mit ihrer Kampagne begeg­nen? Den Kindern Ihrer Einrichtungen, indem sie diese als wilde Tiere bezeichnen? Oder dem pädago­gi­schen Fachpersonal in ihren Kitas, indem sie mit Tierpflegern verglichen werden? Betrachten wir hier allein die Gestaltung einer Speisesituation. In dieser kurzen Sequenz des Tages gelingt es pädagogischen Fachkräften eine Bildungssituation zu schaffen, in der sie im Idealfall Fein­motorik, Sprache, Interaktion, soziale Gemeinschaft, Kreativität und mathematisches Grundverständ­nis fördern. Das alles machen sie zu zweit, mit 25 kleinen Kindern! Erzieher*innen und Sozialassistent*innen leisten täglich eine überaus bedeutungsvolle und anspruchs­volle Arbeit. Sie sind es, die Grundsteine für ein selbstbestimmtes Leben legen und für Chancengleich­heit und Teilhabe in der Gesellschaft sorgen. Sie lösen als Vorbild Konflikte, geben Raum zur Entfaltung, gestalten Bildungsangebote, geben Nähe, Geborgenheit und spenden Trost! Sie sind es, die unsere Zukunftsträger in ihrer Persönlichkeit prägen und damit die Entwicklung unserer Gesellschaft maßgeb­lich beeinflussen! Nicht zuletzt sind sie es, die es uns Eltern täglich ermöglichen, Familie und Beruf zu vereinen. Ich möchte an dieser Stelle den Erzieher*innen und Sozialassistent*innen meines Kindes danken! Danke, dass sie bei dieser hohen körperlichen Belastung, den grenzwertigen Arbeitsbedingungen, der schlechten Bezahlung und der geringen Wertschätzung ihres Berufsfeldes durch ihren Arbeitgeber sich dennoch täglich auf den Weg machen, um mein Kind zu umsorgen, mit ihm zu spielen, es fördern und ermutigen, seinen Weg zu meistern. Für mich sind sie kein Tierpfleger, kein Hundesitter, kein Domp­teur und auch kein Katzenhotel, für mich sind sie ein Held*in des Alltags!“

Der/die Schreiber/in des Leserbriefs hat darum gebeten, diesen anonym zu veröffentlichen.

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