BARSINGHAUSEN (red).
Die Ökostation hat an einem Projekt der Bundesstiftung EVZ „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ teilgenommen, das mit NGOs in osteuropäischen Ländern durchgeführt wurde. Dazu sagt Frank Roth: „Unsere Partnerorganisation war die Jugendorganisation ASDEMO in Gomel, Belarus, die als eine der wenigen NGOs dort überhaupt noch existiert, ohne allerdings im Jugendprogramm offizielle arbeiten zu dürfen. Trotzdem konnten zu unserem Thema Jugendliche befragt werden, die wegen der eigenen Familiengeschichte deutliches Interesse an diesen historischen Vorgängen zeigten. Unsere eigene Nachuntersuchung wurde freundlich unterstützt vom Leiter des Stadtarchivs, Gerald Bredemann, und vom ehemaligen Stadtarchivar, Eckard Steigerwald. Eine Zielsetzung war: Auffinden von Zwangsarbeitern/innen aus Gomel in Barsinghausen, um vielleicht in Gomel Spuren verfolgen zu können. Vergleichbar wäre ggf. auch die aktuelle Zwangsumsiedelung von UkrainerInnen nach Russland. Das Interesse in Barsinghausen am Thema war äußerst gering, Es gab nach der Pressemitteilung von Anfang September insbesondere keine persönlichen Berichte aus familiären Umfeldern – obwohl damals viele Menschen einen Vorteil von der Zwangsarbeit hatten. Zwangsarbeit im Faschismus – offenbar auch ein unbeliebtes Kapitel deutscher Geschichte.
In Barsinghausen wurden bis zum Kriegsende etwa 6.000 Personen zur Zwangsarbeit gezwungen. Diese Menschen wurden im Steinkohlenbergbau, überall in der Landwirtschaft, auf allen Rittergütern, in Kleinbetrieben, in Gastwirtschaften und in Privathaushalten benutzt. In jedem Ortsteil war Zwangsarbeit an der Tagesordnung, alle wussten davon. Im Bergbau Beschäftigte wurden systematisch erfasst und auch nach ihrer Herkunftsnationalität geordnet aufgeführt. Es finden sich Menschen aus allen vom Faschismus besetzten Ländern Europas: Polen, Jugoslawien, Bulgarien, Frankreich, Belgien, Italien, Sowjetunion, Ungarn und Kroatien. Insbesondere waren es viele polnische Menschen, die hierher zur Zwangsarbeit verschleppt worden waren. Parallel zu diesen „Zivilen“ gab es noch viele Kriegsgefangene, insbesondere aus der Sowjetunion und Polen, die in Arbeitskommandos in allen Fabriken und auch in den zugehörigen Dörfern von Barsinghausen organisiert waren. Aus den im Stadtarchiv zur Verfügung stehenden Dutzenden von Listen über Zivilarbeiter in Barsinghausen konnten aber nur wenige Personen aus Weißrussland ermittelt werden. Meist wurde nur „Sowjetunion“ angegeben. Auch wurde die Recherche bezüglich der Geburtsorte – falls sie überhaupt angegeben waren – dadurch sehr erschwert, dass die Städtenamen oft nicht richtig aufgeschrieben worden waren. So fanden wir in 32 Listen mit hunderten von Einträgen unter „Nationalität Weißrussland“ nur 31 Personen mit ihrem Geburtsort aufgelistet. Davon sind allerdings auch nur fünf eindeutige Weißrussen: zwei aus Bobruisk, einer aus Minsk, drei aus Waukawysk (Nähe polnische Grenze). In der Barsinghäuser Sirupfabrik arbeitete ein „Ukrainer“ „R. geboren am 15. Mai 1922 in Homel“. Das war der einzige, aber leider nicht weiter verwertbare Hinweis auf einen Zwangsarbeiter aus Gomel. Die Übrigen, die der Nationalität „Weißrussland“ zugeordnete worden waren, stammten alle aus der Ukraine. Anmerkung: Einige Zwangsarbeiter aus der Ukraine stammten aus Kamjanez-Podilskyj, wo Ende August 1941 SS-Einsatzgruppen mehr als 23.000 Juden ermordeten. Es war das erste große Massaker des 2. Weltkriegs an Juden – Ukrainer schickte man in die Zwangsarbeit.
Gut dokumentiert ist die Situation der Zwangsarbeit in Hannover mit 60.000 Männer, Frauen und Kindern aus vielen verschiedenen Ländern Europas in Dutzenden von Lagern. In Hannover gab es über 85 „kriegswichtige Unternehmen“, so wurden die Rüstungsbetriebe genannt, in denen nur durch Zwangsarbeit die Kriegsproduktion aufrechterhalten werden konnte: Hanomag, Continental, Bahlsen, Varta, Deurag, uva.. Unter schlechtesten Bedingungen mussten dort die Menschen arbeiten, viele starben wegen Unterernährung, fehlender medizinischer Versorgung, Schwerstarbeit. Krankheiten in den Lagern.
Am Kriegsende kamen auch in Barsinghausen die Zwangsarbeiter wieder frei. Es wird von W. Lüpke berichtet, dass Polen und Russen viel klauen und sich z.B. mit Lebensmitteln und häuslichen Gegenständen versorgen zu Lasten der deutsche Bevölkerung. Beklagt werden teilweise chaotische Verhältnisse mit viel Gewalt. Die polnischen Menschen fahren dann im Juni mit einem Zug in Richtung Heimat. Die Sachen, die sie sich für ihr zukünftiges Leben besorgt hatten, waren im letzten Waggon dieses Zuges gestapelt – aber als der Zug losfuhr, blieb der letzte Waggon stehen. Rache der Barsinghäuser dafür, dass die Polen so viel gestohlen hatten? Es gab offenbar kein Mitleid, obwohl es für die Zwangsarbeit jahrelang keinen Lohn gegeben hatte. Versöhnung gab es von beiden Seiten nicht – Rache beherrschte das Geschehen. Der Frieden war für einen großen Teil der Bevölkerung eine Niederlage, gegenüber den ehemaligen Zwangsarbeitern fühlten sich die Täter nun offenbar als Opfer. Zur Kontrolle der sowjetischen Menschen – Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene – kam eine russische Militäreinheit nach Barsinghausen. Auch die Russen nahmen mit Gewalt an sich, was sie bekommen konnten. Dann wurden alle Sowjetmenschen im bewachten Transport zurück in die Heimat gebracht, wo sie durch Befehl von Stalin als Vaterlandsverräter gebrandmarkt wurden und dadurch wieder – in der eigenen Heimat – in der Verbannung Zwangsarbeit erleiden mussten und noch für viele Jahre später keine vollen Rechte bekamen. Während vereinzelt ehemalige polnische Zwangsarbeiterinnen viele Jahre später ihre damaligen deutschen Familien nochmal besuchten, ist das von ehemals russischen Zwangsarbeiterinnen nicht bekannt.
Wir schließen unseren Ausflug in die Barsinghäuser Geschichte einerseits mit positiven Gedanken zu den jahrzehntelangen erfolgreichen Bemühungen um Völkerfreundschaften, wie sie sich z.B. in den Städtepartnerschaften auch von Barsinghausen darstellen. Andererseits bleibt die Frage nach dem „Warum“ der immer wieder – gerade auch aktuell – auftretenden grausamen Verletzungen der Menschenrechte. Gibt es diese „toxische Männlichkeit“, die mit faschistischer Ideologie und religiösem Fundamentalismus schon immer für Krieg und Massenmord sorgte – von Alexander dem Großen über Caesar, Karl dem Großen, die Kreuzzüge, durch Suleyman und Mustafa, durch Iwan den Schrecklichen, durch Pizarro und Cortes, über Napoleon bis zu Stalin, Hitler, Himmler, Dirlewanger, dem IS, Al-Qaida mit Bin Laden, den Taliban und Hamas, den religiösen Hardlinern in Israel, im Iran, in den USA?“
Foto: Ökostation