Versicherungsfremde Leistungen zu Lasten der Krankenkassen nicht hinnehmbar
BARSINGHAUSEN (red). Deutliche Kritik übten die Senioren der IG Metall (IGM) in der Region Barsinghausen in ihrer Versammlung am 11. September an der seitens der gesetzlichen Krankenkassen beabsichtigten weiteren Erhöhung der Zusatzbeiträge im Jahre 2025. Dies würde eine weitere Senkung des Nettoeinkommens aller Beitragszahler bedeuten. Der Leiter der IGM-Seniorengruppe, Erich Zirke und dessen Stellvertreter Rolf Wittkohl (die beide die Barsinghäuser IGM-Senioren in höheren IGM-Organen vertreten), wurden aufgefordert, bis zur nächsten Versammlung am 23. Oktober um 14 Uhr im Naturfreundehaus Barsinghausen Klarheit darüber herbeizuführen und zu berichten, wie dazu die Haltung des IGM-Hauptvorstandes, des DGB und der Arbeitnehmerseite in der Selbstverwaltung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist und dort den Protest aus der Versammlung kundzutun.
Die GKV sei vom Gesetzgeber immer wieder mit aus öffentlichen Mitteln zu finanzierenden Ausgaben belastet worden. Dies solle sich nun, wenn es nach der Bundesregierung ginge, bei der derzeit im Bundestag beratenen Krankenhausreform fortsetzen, in dem Teile der Reformkosten allein von den Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung und nicht auch der Privaten Krankenversicherung (PKV) getragen werden sollen. Beides sei völlig unverständlich und nicht hinnehmbar, dass die Sozialabgaben der gesetzlich Versicherten die einst politisch einvernehmliche Höchstbelastungsmarke von 40 Prozent deutlich überschritten habe und dadurch die bisherigen Entlastungspakete der Bundesregierung für Bürgerinnen und Bürgern in anderen Bereichen immer mehr konterkariert werden. Zuvor hatten sich die IGM-Senioren in einem Referat von Dr. Eckart Galas (Stabsbereichsleiter Gesundheitspolitik bei der AOK Niedersachsen) über die finanzielle Lage der GKV und die derzeit im Bundestag beratenen acht sozialpolitischen Vorhaben (darunter die Krankenhausreform, das Gesetz zur stärkeren Versorgung (mit dem bessere Bedingungen für Hausärzte geschaffen werden sollen) sowie ein Pflegefinanzgesetz (um die finanzielle Stabilisierung der Pflege zu erreichen) informiert. Auch bei der Pflegeversicherung stünde 2025 eine Beitragserhöhung an. Galas hofft, dass die Krankenhausreform (an der Bundesregierung, Bundestag und Länder seit bald zwei Jahren arbeiten) alsbald verabschiedet werde. Es sei absolut notwendig, dass der Strukturwandel in der Krankenhauslandschaft verbunden mit einer Reform des Finanzierungssystems gelingt, denn viele Krankenhäuser befänden sich derzeit in einer angespannten wirtschaftlichen Lage.
Ziel der Reform sei es u.a., dass sich die Kliniken stärker als derzeit spezialisieren, um Gelegenheitsversorgung zu vermeiden und bestmögliche Qualität sicherzustellen. Die Finanzierung der Krankenhausleistungen soll zu einem relevanten Anteil weitgehend unabhängig von der Leistungserbringung mit einer Vorhaltevergütung per Abschaffung der bisherigen Fallpauschale gesichert werden. Durch Entbürokratisierung soll ein besserer Ressourceneinsatz des Krankenhauspersonals erreicht werden. Bei alledem müsse gewährleistet sein, dass trotz aller notwendigen Qualitätsverbesserung und Konzentrationsprozesse auch in ländlichen, strukturschwachen Gebieten wohnortnah eine gute stationäre Grundversorgung einschließlich Notfallversorgung erhalten bleibe. Die GKV komme finanziell, so Galas, in schweres Fahrwasser. Obwohl viele Krankenkassen zum Jahresbeginn und manche sogar ein zweites Mal zur Jahresmitte den Beitragssatz haben anheben müssen, verbuche die GKV aktuell ein Halbjahresdefizit von 2,2 Milliarden Euro. Es sei höchste Zeit, dass die Ampelkoalition ihre Zusagen aus dem Koalitionsvertrag umsetze und die versicherungsfremden Leistungen aus Steuermitteln finanziere. Neben den (hier bereits aufgezeigten) versicherungsfremden Leistungen sei besonders teuer für die Beitragszahler, dass der Bund für die Gesundheitsversorgung der Bürgergeldempfänger weniger als die Hälfte von deren GKV-Versorgungskosten finanziere. Die dadurch fehlenden 9 Mrd. Euro jährlich müssten deshalb allein von den beitragszahlenden Arbeitnehmern sowie deren Arbeitgebern getragen werden.
Kaum nachvollziehbar sei, dass Medikamente in Deutschland mit 19 Prozent Mehrwertsteuer belastet werden, Tierarzneimittel aber nur mit einem ermäßigten Steuersatz. Dieser Unterschied mache für die GKV zwischen fünf bis sechs Milliarden Mehrausgaben aus. Aus Sicht seines Arbeitgebers, der AOK Niedersachsen, sei besonders kritikwürdig, dass der sogenannte Transformationsprozess der Krankenhausreform, der nach den Plänen des Bundes mit 50 Mrd. Euro Fördermitteln zu finanzieren ist, nicht vollständig aus Mitteln der öffentlichen Hand, sondern hälftig aus Beiträgen der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt werden soll. Dies hätte mit der ohnehin angespannten Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) zur Folge, dass die Zusatzbeiträge der GKV um 0,75 Prozent steigen würde. Die Bereitstellung von Krankenhäusern gehöre zur öffentlichen Daseinsvorsorge, sei Aufgabe der öffentlichen Hand und durch diese allein zu finanzieren. Diese Auffassung vertrete auch der Bundesrechnungshof, der in einem Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestages erklärt habe, „dass die Finanzierung von Krankenhausstrukturen nicht Aufgabe der GKV sei. Diese trage im dualen Finanzierungssystem nur die Kosten für die konkrete Behandlung ihrer Versicherten und den laufenden Betrieb der Krankenhäuser. Die Länder sind zuständig für die Finanzierung der Krankenhausstrukturen“ und um eine Strukturreform handele es bei der geplanten Krankenhausreform. Verfassungsrechtlich sei ohnehin umstritten, so Galas, ob die Krankenhaus-Strukturreform über die GKV mitfinanziert werden müsse.
Fotos: Ursula Begau