Umweltschützer küren die Libelle des Jahres

REGION (red).

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und die Gesellschaft deutschsprachiger Odonatologen (GdO) küren die Kleine Pechlibelle zur Libelle des Jahres 2022. In diesem Jahr ist eine Art ausgewählt worden, die zwar weit verbreitet, aber nirgends häufig ist. Auch in Niedersachsen kommt sie nur selten vor. „Die kleine Pechlibelle ist auf sich verändernde Lebensräume angewiesen, wie wir sie in naturnahen Auen vorfinden. Der Klimawandel beschleunigt jedoch die Austrocknung kleinerer Gewässer immer stärker und zerstört so wertvollen Lebensraum. Die kleine Pechlibelle führt uns diese Krise immer wieder vor Augen“, begründen BUND und GdO ihre Entscheidung. In Niedersachsen steht die Kleine Pechlibelle auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. Die Libellenart macht es den Libellenkundlern nicht leicht. Mathias Lohr, BUND-Libellenexperte: „Die Kleine Pechlibelle besiedelt besonnte, vegetationsarme Gewässer und findet sich deshalb oft sehr rasch an jungen, gerade erst entstandenen oder entkrauteten Gewässern ein. Meist verschwindet sie jedoch nach wenigen Jahren wieder, wenn sich im Zuge der Sukzession an den Gewässern dichtere Vegetationsbestände entwickeln. Gefährdet ist die Kleine Pechlibelle heute, weil typische Lebensräume in den Flussauen weitgehend zerstört wurden. Auch Nährstoffeinträge durch die Landwirtschaft und die Luft in die Gewässer führen vermutlich zu einem Rückgang der Art.“

Der Name der Kleinen Pechlibelle rührt daher, dass ihr Hinterleib größtenteils pechschwarz ist. Während ihres Lebens wechselt sie genau wie ihre Schwesterart, die Große Pechlibelle, mehrfach ihr Aussehen. Vor allem die Weibchen durchlaufen während der Reifung nach dem Schlupf deutliche Farbwechsel. Junge Weibchen sind durch eine lebhaft orangene Färbung unverkennbar. Dies ist unter anderem wichtig, weil dadurch die Männchen sofort erkennen können, mit wem sie sich paaren können. Libellen als Augentiere haben ein viel differenzierteres Farbensehen als wir Menschen. Sie haben viel mehr Farbrezeptoren und können so Farben, die für uns einheitlich aussehen, noch nuanciert unterscheiden und auf diese Weise auch miteinander „kommunizieren“. Naturnahe Auen sind ein klassischer Lebensraum der Kleinen Pechlibelle. Dort lassen Fließgewässer in Hochwasserzeiten sehr regelmäßig geeignete Strukturen entstehen. In Niedersachsen wird die Art beispielsweise in flachen, teil überfluteten Senken der Oberweserniederung beobachtet. Renaturierungen von größeren Bächen und Flüssen fördern diese Art. Weitere typische Lebensräume sind Abgrabungen oder Steinbrüche, wo im Betrieb Gewässerstrukturen immer wieder neu entstehen. Die meist offenen, gut sonnenexponierten Kleingewässer weisen wenig Konkurrenz durch andere Arten auf. So kann die Kleine Pechlibelle neben ihrem einjährigen Entwicklungszyklus unter günstigen Bedingungen auch eine zweite Generation im Jahr hervorbringen. Der Klimawandel führt allerdings häufig dazu, dass kleine Gewässer sehr schnell und sogar zu rasch für Pionierarten wieder austrocknen oder verlanden. Die Förderung nachhaltig-dynamischer Prozesse in der Landschaft ist daher ein wichtiger Schutzansatz für diese Spezialisten. Der BUND setzt sich seit Jahren an der Hohen Garbe für die Renaturierung der Elbauen ein.

Hintergrund: Wie der Name „Kleine Pechlibelle“ (Ischnura pumilio) vermuten lässt, gibt es tatsächlich auch noch eine „Große Pechlibelle“ (Ischnura elegans). Die Schwesterarten sind aber nur selten an der Größe auseinanderzuhalten, vielmehr gilt es genau nach den Unterscheidungsmerkmalen zu schauen, um die Arten exakt zu bestimmen. Die Lage einer „blauen Laterne“ (blau gezeichnete Körpersegmente am Ende des Hinterteils der Tiere) hilft hier weiter, man muss allerdings den Unterschied kennen und genau hinsehen. Wie so oft ist also auch bei den Pechlibellen genaue Beobachtung gefragt. Da die Große Pechlibelle unsere häufigste Kleinlibelle ist, können sich wenige Individuen der kleinen Schwesterart mühelos in einem großen Bestand von Ischnura elegans „verstecken“, wenn man nicht aufmerksam ist. Durch die besondere Lebensweise der kleinen Pechlibelle gibt es immer noch Kenntnisdefizite, die es künftig zu erforschen gilt.

Foto: Michael Post/GdO