Landwirtschaft und Kommunen diskutierten über Chancen und Risiken
REGION (red). Das Land Niedersachsen beabsichtigt, bis 2040 seinen Energiebedarf bilanziell zu einhundert Prozent aus erneuerbaren Energien zu decken. Ein wichtiger Baustein beim Erreichen dieses Ziels ist die Solarenergie. Dabei kommt der Landwirtschaft durch den Zubau großer Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen eine wichtige Rolle zu. Diese Frage stand am Freitag im Mittelpunkt einer Veranstaltung, zu der die Landwirtschaftskammer Niedersachsen (LWK) sowie der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund (NSGB) in Hannover und online eingeladen hatten. Vor rund 450 Teilnehmenden aus Landwirtschaft und Kommunen unterstrich auch Umwelt- und Energieminister Olaf Lies auf der Veranstaltung: „Wir werden, wenn wir unsere Klimaziele bis 2040 erreichen wollen, zusätzlich zum Ausbau der Windenergie insgesamt 65 Gigawatt Photovoltaik installiert haben müssen. Davon wird der große Teil auf Dachflächen, nämlich 50 Gigawatt, entstehen – etwa auf großen Gewerbeanlagen, auf landeseigenen Gebäuden, aber auch auf privaten Dächern. Genauso sind bereits versiegelte Flächen, wie bspw. Supermarktparkplätze, prädestiniert, einen großen Beitrag zu leisten. Gleichzeitig werden wir aber auch weitere freie Flächen in den Blick nehmen müssen. Dabei wird es besonders auf eine gute Raumplanung ankommen und dabei werden wir die Landkreise und Kommunen unterstützen. Hier müssen wir uns zunächst etwa auf ertragsärmere Böden konzentrieren. Denn Photovoltaik ist in der Tat auch eine große Chance für die Landwirte, sich auch wirtschaftlich breiter aufzustellen. Dabei brauchen wir einen guten Ausgleich für bisherige Flächenpächter. Sie dürfen hier nicht zu Verlierern der Energiewende werden. Und auch um die Nutzungskonflikte zu entschärfen gibt es vielversprechende Innovationen, wie die Agri-PV-Anlagen. Solche Ansätze werden wir weiter begleiten und fördern.“
Gerhard Schwetje, Präsident der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, betonte, dass die ambitionierten Energie- und Klimaziele von Bund und Land für Handlungsbedarf sorgten. Er sprach von einer „Herkulesaufgabe“ und einer „großen gemeinsamen Anstrengung“. „Viele Landwirte sind bereits jetzt Energiewirte und haben zusätzlich zur Nahrungsmittelerzeugung maßgeblich am bisherigen Ausbau der Erneuerbaren mitgewirkt“, sagte Schwetje und versprach: „Auch zukünftig wird die Landwirtschaft ihren Beitrag zur Energiewende leisten.“ Statt großflächiger Versieglung von landwirtschaftlicher Fläche favorisiere er beim Ausbau von Freiflächen-Photovoltaik aber betriebs- und standortgerechte Lösungen wie eine Kombinationsnutzung der Fläche von regionaler Landwirtschaft, Naturschutz und Energieerzeugung. Schwetje: „Dazu suchen wir den engen Dialog mit den Städten und Gemeinden für eine entsprechende Bauleitplanung und bauen unsere Energieberatung landesweit aus.“
Aus Sicht der Städte und Gemeinden machte Dr. Marco Trips, Präsident des NSGB, seine Haltung zu Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen auf landwirtschaftlichen Flächen deutlich: „Angesichts immer knapper werdender landwirtschaftlicher Flächen kann Freiflächen-Photovoltaik nicht die Antwort auf die Energiekrise sein. Der Krieg in der Ukraine hat einmal mehr gezeigt, dass Ackerflächen in erster Linie zur Nahrungsmittelproduktion eingesetzt werden sollten“. Photovoltaik gehöre mit einem klaren Vorrang auf bereits versiegelte Flächen und Dächer, als Freiflächenanlage allenfalls auf landwirtschaftlich nicht nutzbare schlechte Böden. Für die Gemeinden vor Ort sei der Druck durch Investoren immens. Hier bedarf es nach seinen Worten einer Steuerung durch Bund und Land, um auch die Nahrungsproduktion sicherzustellen. Auch sprach sich Trips für Leistungsziele statt Flächenziele aus – schon allein, um den technischen Fortschritt zu erhalten – und forderte von Land und Bund, den Druck auf die Landwirte und die Kommunen zu reduzieren. „Die gemeinsame Veranstaltung mit der Landwirtschaftskammer ist ein erster, wichtiger Schritt für einen Dialog und Schulterschluss der Städte und Gemeinden mit der Landwirtschaft, um einen sinnvollen und kontrollierten Ausbau von Photovoltaik-Anlagen sicherzustellen,“ so Trips.
Hildegard Zeck aus dem Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz verwies darauf, dass es Teil der kommunalen Verantwortung sei, „rasch Gunst-, Restriktions- und Ausschlussflächen in den Landkreisen und Gemeinden zu bestimmen“. Regional- und Bauleitplanung müssten eng zusammenarbeiten, da der Druck auf die kommunale Ebene wachse. „Die Erwartungen an schnelle Planung und Genehmigung sind so groß wie nie zuvor.“ Das sah Talke Heidkroß, LWK-Fachreferentin für Raumordnung, ähnlich. Sie beschrieb die Möglichkeit, landwirtschaftliche Belange in der regionalen Planung von Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen zu berücksichtigen und damit die Verträglichkeit von Freiflächen-PV mit den einzelnen Betrieben vor Ort sicherzustellen.
Welche konkreten Umsetzungsfragen landwirtschaftliche Betriebe und Kommunen aktuell bewegen, wurde in weiteren Vorträgen und einer Fragerunde unter der Moderation des Stellv. Kammerdirektors Stefan Ortmann und des zuständigen LWK-Fachbereichsleiters Dr. Harm Drücker deutlich. Darin gaben der Landwirt Fred Arkenberg und die Bürgermeisterinnen Helma Spöring aus Walsrode sowie Ulrike Jungemann aus Scheeßel ihre Erfahrungen bei der Erstellung eines regionalen Energiekonzeptes und Kriterienkataloges weiter. Der LWK-Energieberater Helmut Wahl und der Landvolk-Rechtsexperte Harald Wedemeyer gingen auf Aspekte der betrieblichen Umsetzung und auf technische Lösungen wie etwa senkrecht aufgestellte Solaranlagen auf weiterhin nutzbarem Ackerland ein. Ihr Fazit: Eine intensive Planung und Beratung zur richtigen Anlage für den einzelnen Betrieb und zu den strukturellen Umständen des Standortes entscheiden darüber, ob die vorhandenen Chancen der Photovoltaik wirtschaftlich und standortverträglich genutzt werden können.
Foto: Dr. Harm Drücker/LWK