Falsch verstandene Tierliebe ist nicht selten kontraproduktiv

Was dem Igel wirklich hilft, erfahren Sie hier

Foto: Wolfgang Stürzbecher

REGION/NIEDERSACHSEN (red). „Sie wollen doch nicht abstreiten, dass jetzt bald die kalten Nächte kommen!“ Die Dame klang geradezu hysterisch, als sie dem NABU telefonisch mitteilte, dass sie vier Igel „gerettet“ und sie hereingeholt habe, „weil es ja nun kälter wird und die Tiere es gut haben sollen.“ Der NABU solle die Tiere nun aufnehmen – an einem 4. Juli! „Das war der früheste Termin, an dem uns jemals angeblich untergewichtige und vom Winter bedrohte Igel gemeldet wurden“, erklärt Rüdiger Wohlers vom NABU Niedersachsen, der damals den Anruf entgegennahm. Noch heute ist der Naturschützer fassungslos, was falsche Tierliebe anrichten kann. Die beschriebene „Einsammelmentalität“ führt dazu, dass vor allem im Herbst Igel im NABU-Artenschutzzentrum in Leiferde abgeliefert werden, die keiner menschlichen Hilfe bedürfen. Hinzu kommt, dass Igel Wildtiere sind und nur ausnahmsweise der Natur entnommen werden dürfen, z.B. wenn sie wirklich krank oder verletzt sind. „Dann sollten sie aber unbedingt erfahrenen, kompetenten Händen zugeleitet werden, zu denen stets der örtliche Tierarzt gehört!“ mahnt Wohlers. Bei fehlenden Ansprechpartnern oder Unsicherheit darüber, wie einem mutmaßlich in Not geratenen Igel geholfen werden kann, können sich besorgte Igelfreunde auch an die Tierrettung der Feuerwehr oder an die Polizei wenden.

Foto: Andreas Schäfferling/www.naturgucker.de

Dramatischer Rückgang durch Nahrungsmangel und Lebensraumverlust: Und so schlägt der NABU Niedersachsen Alarm, was den Igel zwischen der Krummhörn und dem Eichsfeld betrifft – allerdings nicht nur aufgrund der „Einsammelmentalität einiger Menschen“: Noch schwerwiegender seien Lebensraumverluste und der damit verbundene Nahrungsmangel, betont Wohlers. In den meisten Bereichen Europas sei festzustellen, dass der Igel, jenes possierliche Säugetier mit rund 8.000 Stacheln, in seinem Bestand rapide zurückgehe. „Es sieht düster aus für den von den Menschen eigentlich sehr geliebten Igel, der als Sinnbild für Klugheit steht“, konstatiert Wohlers. So wehrhaft der stachelige Geselle gegen Fressfeinde ist, gegenüber anderen Bedrohungen ist er hilflos. In einigen Bundesländern steht er sogar bereits auf der Vorwarnliste der Roten Liste der gefährdeten Arten. Igel finden durch den dramatischen Rückgang der Insekten immer weniger Nahrung.

Insektenschwund und Klimawandel setzen dem Stachelritter zu: „Käfer, Raupen und Ameisen stehen auf seinem Speisezettel. In einer ausgeräumten Landschaft, in der blühende Wegraine, Hecken, Feldgehölze und Brachen untergepflügt oder weggespritzt werden, kann er weder Insekten als Nahrung noch Unterschlupf finden. Hier liegt die Hauptursache der Gefährdung“, erklärt Wohlers. Hinzu kommt der Klimawandel, der sich auch ganz exemplarisch bei diesem Wildtier auswirkt: Durch Hitze und Trockenheit haben Igel viel weniger Möglichkeiten, Schnecken oder Regenwürmer zu finden. Weitere Gefährdungsfaktoren sind beispielweise die Überbauung: „Viele Orte wachsen nicht mehr, sie wuchern geradezu in die Landschaft“, zeigt sich Rüdiger Wohlers besorgt über die Entwicklung. „Täglich werden in Niedersachsen gut neun Hektar Fläche unter Beton und Asphalt genommen, das entspricht der Größe von fast 13 Fußballfeldern. Auch viele neu angelegte Gärten sind völlig igelfeindlich, weil in ihnen überwiegend immergrüne Exoten ohne Wert für die heimische Tierwelt gepflanzt werden; viele von ihnen werden auch hermetisch abgedichtet, sodass Igel und Co. keine Chance haben, den Garten zu erreichen. Der Igel hat es heutzutage schwer!“

Fotos: Andreas Schäfferling/www.naturgucker.de / Wolfgang Stürzbecher