Grüne Liste: Einheitliche ökologische Standards als Orientierung bei wirtschaftlichen Investitionen

WIRTSCHAFT + ÖKOLOGIE (red).

Foto: unsplash/Micheile Henderson

Die Wirtschaft soll nachhaltiger werden, Geldanlagen grüner: Private Anleger, aber auch Nationalstaaten und die Europäische Union wollen im Sinne der Nachhaltigkeit investieren. Ein neues Klassifikationsschema soll Einheitlichkeit schaffen. Der Druck, angeschlagenen Unternehmen mit öffentlichen Mitteln unter die Arme zu greifen, ist durch die Corona-Krise gestiegen. Ob die eingesetzten Gelder dem Klima- und Umweltschutz dienen, ist aber oft fraglich. „Bisher haben wir in Europa keinen einheitlichen Standard, um die Nachhaltigkeit von Unternehmen und Finanzprodukten zu messen“, sagt Kerstin Lopatta, Professorin für Rechnungslegung und Nachhaltigkeit an der Universität Hamburg. Auch deshalb gehen öffentliche Fördergelder allzu häufig an Unternehmen, die der Umwelt mehr schaden als nützen. Ähnlich ist es bei Finanzprodukten wie Aktien oder Unternehmensanleihen: „Nachhaltig“ ist kein geschützter Begriff, und mitunter verstecken sich in solchen Fonds auch Papiere umweltschädlicher Industrien.

Sechs Umweltziele: In ihrem Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums schlug die EU-Kommission 2018 eine sogenannte Taxonomie-Verordnung vor, ein einheitliches Klassifikationsschema für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten. Eine Gruppe technischer Experten*innen hat solch eine „grüne Liste“ im Auftrag der Kommission erarbeitet – und das in einem für die EU beachtlichen Tempo: Bereits im Juni 2020 veröffentlichte die Kommission die Verordnung. Darin sind sechs Umweltziele definiert, an denen Unternehmen ihr wirtschaftliches Handeln messen sollen.

Die Umweltziele der Taxonomie-Verordnung:

    1. Klimaschutz
    1. Anpassung an den Klimawandel
    1. Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen
    1. Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
    1. Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
    2. Schutz und die Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme

Damit eine Wirtschaftstätigkeit im Sinne der Taxonomie als nachhaltig gilt, muss sie einen substanziellen Beitrag zu mindestens einem der Ziele leisten. Gleichzeitig darf sie keinen der anderen Bereiche schädigen und muss soziale Mindeststandards einhalten.

Beachtliches Tempo: Für die Ziele „Klimaschutz“ und „Anpassung an den Klimawandel“ hat die technische Expert*innengruppe bereits einen umfangreichen Bewertungskatalog erstellt. Schon ab 2021 sollen diese Kriterien für ausgewählte Wirtschaftsbereiche gelten. Bis Ende 2022 will die EU-Kommission die technischen Kriterien für alle weiteren Umweltziele veröffentlichen und ab dem Jahr 2023 anwenden. Die Expert*innengruppe hat ihre Arbeit im Herbst 2020 einer Plattform für nachhaltiges Finanzwesen übertragen. Deren rund 50 Mitglieder kommen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen wie Unternehmen, Finanzinstitutionen, Wirtschaftsverbänden, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und der Wissenschaft. Auch Ariel Brunner, der amtierende Direktor von BirdLife Europa, der europäischen Dachorganisation des NABU, nimmt an der Plattform teil. Die fachliche Arbeit leistet das NABU-Team der Bundesgeschäftsstelle in Berlin.

Mehr Transparenz: In den Bewertungskatalogen müssen technische Details berücksichtigt, Obergrenzen festgeschrieben und für verschiedene Industriezweige definiert werden. Allein für die beiden ersten Umweltziele umfassen diese Evaluierungs-Kriterien über 300 Seiten. Das fertige Regelwerk soll schließlich zu mehr Transparenz und damit zu einer nachhaltigeren Wirtschaft beitragen. „Wenn die Unternehmen offenlegen müssen, wie viele Umsätze sie gemäß der Taxonomie-Kriterien erzielen, werden sie versuchen, diesen Anteil zu steigern“, meint Lopatta. Die Europäische Union oder einzelne Staaten können die Verordnung als Richtschnur für umweltfreundliche Investitionen nutzen. Konjunkturhilfen und Förderprogramme sollten an die Taxonomie-Kriterien gekoppelt werden, fordern Umweltverbände wie der NABU. So wäre sichergestellt, dass öffentliche Gelder tatsächlich im Sinne des Umwelt- und Klimaschutzes eingesetzt werden. Derzeit wird mit Hochdruck an den Details des Gesetzes gearbeitet, das bis Ende des Jahres 2020 verabschiedet werden soll. Einige Punkte sind noch offen, beispielsweise in welchem Rahmen betroffene Unternehmen die Ergebnisse veröffentlichen müssen. Mit Blick auf den laufenden Prozess ist Lopatta überzeugt, dass die Taxonomie wirkt. Viele Firmen würden schon jetzt Konzepte entwickeln, um nachhaltiger zu werden. Denn das könnte ihnen mittelfristig Wettbewerbsvorteile verschaffen.

Eco-Label geplant: Das gilt insbesondere für Finanzdienstleister wie Banken oder Fondsgesellschaften. Laut der 2019 erlassenen Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzsektor müssen diese zukünftig darüber informieren, wie nachhaltig ihre Produkte sind. Das wiederum wirkt sich auf die Unternehmen aus, deren Wertpapiere beispielsweise in den Fonds enthalten sind. Auch für sie wird es interessanter, beim Thema Nachhaltigkeit möglichst gut abzuschneiden. Insbesondere Fonds, die als nachhaltig oder grün vermarktet werden, müssen zukünftig anhand der Taxonomie-Kriterien bewertet werden. Das ist ein erster Schritt zu einem europaweiten Eco-Label für Finanzprodukte, wie es mittelfristig geplant ist.

Text: Ann-Kathrin Marr / Foto: unsplash/Micheile Henderson