„Wo Menschen ertrinken, kann ich nicht einfach Segeln“

Die Ärztin und Sea-Watch-Aktivistin Beatrix Schmidt berichtete jetzt von ihren Erfahrungen in der Seenotrettung im Mittelmeer

Pastorin Uta Junginger (li.) begrüßt die Ärztin und Sea-Watch-Aktivistin Beatrix Schidt in der Mariengemeinde.

BARSINGHAUSEN (ta). Rund 70 interessierte Gäste erfuhren gestern Abend auf Einladung der Mariengemeinde, mit welchen Schwierigkeiten und unfassbaren Schicksalen die Rettung von Flüchtlingen, die das Mittelmeer in Richtung Europa überqueren wollen, verbunden ist. „Dieses Thema geht uns alle an“, betonte Pastorin Uta Junginger in ihrer Begrüßung. Sie wies außerdem darauf hin, dass die evangelische Kirche in Deutschland Spenden für ein neues Rettungsboot für die Organisation Sea-Watch sammelt, weswegen der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche erschreckenderweise sogar Morddrohungen erhalten habe. Als Referentin konnte Junginger die Kinderärztin, Dr. Beatrix Schmidt, begrüßen, die das Sterben der Flüchtlinge im Mittelmeer nicht mehr ertragen konnte und seit 2016 mehrere Rettungsaktionen an Bord der Schiffe von Sea-Watch absolviert hat.

Im Jahr 2015 sei die größte Flüchtlingsbewegung seit dem 2. Weltkrieg in Gang gekommen, damals hätten pro Minute 24 Menschen weltweit ihr Heimatland wegen Verfolgung, Armut, Folter, Rohstoff- und Landraub oder wegen der Folgen des Klimawandels verlassen. In 2016 seien nach offiziellen Angaben rund 5000 Menschen im Mittelmeer ertrunken, die tatsächlichen Zahlen dürften aber höher sein. Vor diesem Hintergrund habe sie nicht einfach ihr Hobby, das Segeln, ausüben können, sondern habe sich als Kinderärztin dazu entschlossen, zu helfen. Schmidt betonte, viele Flüchtlinge auf den überfüllten Booten wiesen Zeichen von Misshandlungen auf, die Menschen hätten nicht genug zu trinken, es seien teilweise unterkühlte Babys an Bord, die Flüchtlingen könnten sich bei der Rettung aufgrund der ständigen Sitzhaltung kaum noch bewegen und es gebe Verätzungen durch Meerwasser, Benzin oder Kot.

Ganz schwierig sei stets die Entscheidung im Ernstfall, wen man in der Eile der Situation zuerst retten solle. Hinzu komme noch, dass die Flüchtlinge zumeist sich in einem panischen Zustand befänden, erklärte Schmidt anhand von Fotos von den Rettungsaktionen. Inzwischen sei die Zahl der Bootsflüchtlinge zwar gesunken, dafür sei aber die Sterberate gestiegen. Bei Sea-Watch handele es sich eine Nicht-Regierungsorganisation (NGO), die sich über Spenden finanziere. Die Crew eines Rettungsschiffes bestehe aus verschiedenen Spezialisten und der Zusammenhalt an Bord sei sehr gut. Viele der Geflüchteten hätten allerdings gar keine Vorstellung davon, mit welchen Gefahren die Überfahrt über das Meer verbunden sei. Überhaupt keine Hilfe sei Libyens Küstenwache, die eigentlich gar nicht existent seien. Und auf der anderen Seite des Mittelmeers seien Griechenland und Italien mit der Situation überfordert, daher müsse die europäische Politik rasch Lösungen finden, betonte die engagierte Ärztin. Nach dem Vortrag hatten die Zuhörer dann noch die Gelegenheit, detaillierte Nachfragen zu stellen.

Foto: ta / privat