9. Jahresempfang des NFV steht unter dem Motto „50 Jahre Frauenfußball“

Martina Voss-Tecklenburg, Almuth Schult, Christel Klinszmann, Hannelore Ratzeburg und Dr. Rainer Koch sind die Stargäste beim Promitalk in Barsinghausen

BARSINGHAUSEN (red). In einem waren sie sich alle Fünf einig: Der Frauenfußball verdient mehr Respekt in der Gesellschaft. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg, Nationaltorhüterin Almuth Schult, Niedersachsens erste Nationalspielerin Christel Klinzmann, DFB-Vizepräsidentin Hannelore Ratzeburg und Dr. Rainer Koch als 1. DFB-Vizepräsident Amateure/Regional- und Landesverbände waren die Stargäste, die der Präsident des Niedersächsischen Fußballverbandes (NFV), Günter Distelrath, zum 9. Krombacher Jahresempfang im Zechensaal des Besucherbergwerks Barsinghausen begrüßen konnte. „50 Jahre Frauenfußball in Deutschland“ war das Themenmotto eines Abends, der sehr kurzweilig wurde, weil zwei bestens aufgelegte Moderatoren, Christoph Dannowski (Neue Presse) und NFV-Pressesprecher Manfred Finger, keine Mühe hatten, dem sehr redseligen Quintett interessante Einblicke in die Welt des Frauenfußballs zu entlocken. In Talkrunde 1 mit Ratzeburg, Klinzmann und Finger sorgt die DFB-Vizepräsidentin Ratzeburg gleich nach dem „Anpfiff“ für den ersten Lacher des Abends. Vor 50 Jahren, so Finger, sei der „Damenfußball“ offiziell vom DFB gestattet worden. „´Damenfußball` ist besser als ´Weiberfußball`. Aber die Hälfte der Bevölkerung sind Frauen, nur ein Teil davon Damen.“ Deshalb votiert die Hamburgerin für Frauenfußball und schiebt zur Bekräftigung nach: „Es heißt ja auch Männerfußball. Herren rotzen ja auch nicht auf den Platz.“ Dass der Frauenfußball in seinen Anfängen belächelt wurde, diese Erfahrungen haben auch Ratzeburg und Klinzmann machen müssen. „Viele männliche Zuschauer haben wohl mehr auf die weiblichen Kurven geachtet“, erinnert sich Klinzmann, die am 10. November 1982 in Koblenz beim ersten Länderspiel einer deutschen Frauen-Nationalmannschat beim 5:1-Erfolg über die Schweiz in der 52. Minute eingewechselt wurde und nur noch 18 Minuten bestritt, weil Frauenspiele damals nur 70 Minuten dauerten. Ratzeburg hat ein Länderpokalspiel mit Hamburg gegen Mecklenburg-Vorpommern in Erinnerung, bei dem drei Männer mit zotenhaften Bemerkungen unangenehm in Erscheinung traten und u.a. lauthals bekundeten: „Wir möchten mit euch duschen gehen!“ „Das waren Halbstarke. Nach dem Spiel haben wir uns den Jüngsten, der nicht so viel wog, gegriffen und zu unserer Kabine geschleift, damit er mitduschen kann. Der hat sich dann aber vehement mit Händen und Füßen gewehrt“, freut sich Ratzeburg noch heute über den gelungenen Überraschungsangriff. Es waren die ausrangierten Bälle, mit denen die Frauen in den 1970er Jahren kicken mussten und wenn sie mehr Platzzeiten einforderten, erhielten sie laut Ratzeburg die Antwort: „Wir haben andere Probleme, als uns um die Weiber zu kümmern.“ Despektierliche Reaktionen überall. „Wenn wir an Schiedsrichter- oder Trainerlehrgängen teilgenommen haben, dann war das schon ein Spießrutenlaufen“, so Ratzeburg, die auch beim Stiefeltrinken unangenehme Erfahrungen gemacht hat. „Wir waren sehr jung und wollten dazu gehören. Vor dem ersten Stiefeltrinken hat uns aber natürlich niemand den Trick verraten, wie wir den Blub verhindern konnten.“ Was natürlich eine ungewollte Dusche zur Folge hatte. Auch in ihren Anfängen beim DFB ist Ratzeburg nicht mit offenen Armen empfangen worden. „Wenn ich irgendwann im Spielausschuss mal dran war, dann lasen die Männer Zeitung.“ Aber Hannelore Ratzeburg hat sich durchgeboxt, machte sich bei der UEFA stark für die Bildung von Nationalteams, war Wegbereiterin, dass auch der DFB eine eigene Auswahl aufstellte, die gegen die Schweiz ein gutes Debüt gab. „Wenn es schief gegangen wäre, hätten sich unsere Gegner auf die Schenkel geschlagen“, freut sich Ratzeburg, dass den Frauenfußball-Skeptikern „in dieser aufregenden Zeit“ diese Genugtuung versagt blieb. In ihrem Kinderwagen hat nicht etwa eine Puppe gelegen, sondern ein Ball. Der fußballbegeisterte Vater und die beiden Brüder haben ihr das runde Leder in die Wiege gelegt und damit die Karriere von Christel Klinzmann stark beeinflusst. 21 Spiele hat sie im Trikot mit dem Bundesadler bestritten, davon acht gemeinsam mit Martina Voss, der heutigen Bundestrainerin. „Vossi und ich sind super miteinander ausgekommen. Aber es gab da ein Spiel mit der NFV-Auswahl, da war sie meine Gegenspielerin. Sie hat eine Schwalbe gemacht und ich erhielt eine Zeitstrafe“, hat Klinzmann bis heute nicht vergessen. Unvergessen ist für sie aber auch die Teilnahme mit dem VfR Eintracht Wolfsburg am DFB-Pokalfinale 1984 im Frankfurter Waldstadion gegen SSG Bergisch Gladbach (0:2), bei dem die Mehrheit der Fans mit den Wolfsburgerinnen sympathisierte. Laut Manfred Finger war es das „Vorspiel“ zum Männerfinale zwischen Bayern München und Borussia Mönchengladbach (7:6 n.E.), doch Ratzeburg insistiert: „Das war kein Vorspiel, das war das Endspiel. Die Männer haben ja auch nicht das Nachspiel bestritten.“ Im Gespräch mit Martina Voss-Tecklenburg, Almuth Schult und Dr. Rainer Koch rückt Christoph Dannowski zunächst die Torfrau, die aufgrund ihrer Schwangerschaft ihre sportliche Karriere unterbrochen hat, in den Vordergrund. „Ende der Saison ist es so weit“, berichtet Schult auf Nachfrage. In welcher Woche sie sich derzeit befinde, wisse sie aber gar nicht so genau. Auf jeden Fall werde sie nach der Geburt alles dafür tun, zurückzukommen. „Die Entscheiderin dafür sitzt aber neben mir“, sagt sie mit Blick auf die Bundestrainerin. Die versichert: „Almuth würde uns schon schwer abgehen.“ Schult beschreibt eine glückliche Kindheit im 120-Seelen-Dörfchen Lomitz und auf dem Bauernhof der Eltern. „Das ist ein ausgelassen fröhliches Völkchen“, nennt sie einen Grund dafür, warum sie wieder in die alte Heimat im Kreis Lüchow-Dannenberg zurückgekehrt ist. Wäre es nach ihrer Mutter gegangen, dann hätte Martina Voss-Tecklenburg wohl niemals eine so beeindruckende Karriere als Fußballerin und Trainerin erlebt. „Mama hatte das Sagen. Sie war dagegen“, erinnert sich die Bundestrainerin an heimliches Kicken in Duisburg. Das macht sie aber so hervorragend, dass sie bereits im zarten Alter von 15 Jahren mit dem FCR 2001 Duisburg DFB-Pokalsiegerin wird. Als sie 1996 Deutschlands erste Fußballerin des Jahres wird („das war ein Statement für den gesamten Frauenfußball“), erhält sie einen Riesenpokal und trifft nach der Ehrung in einem Lokal auf den Komiker Otto Waalkes, der nach einem Sieg bei einer Auto-Rallye ebenfalls mit einem Pokal ausgezeichnet worden ist. „Sein Pokal war viel kleiner und ich war mächtig stolz“, so Voss-Tecklenburg. Hinter der Bundestrainerin liegt „ein sehr lehrreiches Jahr“, an dessen Ende sie „ein bisschen müde“ war und auch im Urlaub nur bedingt abschalten konnte. Seit ihrem Amtsantritt Ende 2018 hat die deutsche Frauen-Nationalmannschaft in nunmehr 13 Spielen elf Siege bei je einem Unentschieden und einer Niederlage eingefahren. „Schaffen sie das mit Hannover 96, wird in Hannover eine Straße nach ihnen benannt“, weiß Dannowski. Und doch bleibt der Makel der 1:2-Niederlage im WM-Viertelfinale 2019 gegen Schweden, der Deutschland letztlich die Teilnahme an den diesjährigen olympischen Spielen kostete. „Das tat weh. Wir waren noch nicht so gefestigt, hatten die zweitjüngste Mannschaft und die WM kam einfach einen Tick zu früh“, gesteht Voss-Tecklenburg. Und Almuth Schulz ergänzt: „Es hat auf dem Platz die Verantwortungsübernahme gefehlt, aber wir haben Erfahrungen gemacht, so dass wir es jetzt besser machen können.“ Und auch Dr. Koch erinnert sich nur ungern an das Spiel in Rennes. „Die Niederlage war schmerzhaft für den deutschen Fußball. Ich war dabei, genau wie bei der WM in Russland (Ausscheiden der deutschen Männer im Jahr 2018 bereits nach der Vorrunde). Das war auch nicht schön.“ Gern denkt Voss-Tecklenburg an das jüngste Testspiel der deutschen Frauen vor fast 80.000 Zuschauern in Wembley gegen England zurück, das Deutschland im November 2018 mit 2:1 gewann. Dieses Spiel war so prestigeträchtig, dass eine englische Spielerin vom „unfreundlichsten Freundschaftsspiel“ aller Zeiten sprach. „Deutschland gegen England zieht immer. Für unsere junge Mannschaft war das ein Zukunftsspiel, etwas ganz Besonderes. Bei der EM 2021 wird uns dieses Spiel helfen“, glaubt die Trainerin daran, dass ihre Mannschaft im kommenden Jahr in England von den gemachten Erfahrungen profitieren wird.
Jahrelang beherrschte Deutschland gemeinsam mit den USA den internationalen Frauenfußball. Der Vorsprung scheint geschmolzen. Christoph Dannowski verweist darauf, dass sich in anderen Ländern, insbesondere England, eine sehr positive Entwicklung vollziehe. Martina Voss: „Im Ausland wird gut promoted. Wir müssen gucken, was dort besser gemacht wird und wir brauchen die Unterstützung aus Medienlandschaft, Politik und Gesellschaft. Lasst uns respektieren, dass wir tolle Frauen haben, die tollen Fußball spielen.“ Bei der Wahl der Sportler des Jahres in Hannover belegte die Frauenmannschaft von Hannover 96 Rang 3, Anna-Lena Füllkrug, Stürmerin der 96erinnen, bei den Frauen Rang 2. Profis der Herren von 96 landeten dagegen nicht im Ranking. Martina Voss ist überzeugt: „Diese Beispiele brauchen wir. Wir Frauen haben immer das Gefühl, einen Tick mehr leisten zu müssen als die Männer. Wir brauchen Chancengleichheit auf allen Ebenen.“ Das bestätigt auch Dr. Koch: „Wir müssen den Fußball ganzheitlich betrachten. Es gibt nur einen Fußball – nämlich den der Männer und Frauen.“ Almuth Schults Forderung nach mehr TV-Präsenz unterstützt Dr. Koch: „Wir müssen da alle mithelfen. Wir müssen daran arbeiten, dass der Frauenfußball bei den Oberen ankommt und dass auch Männer den Frauenfußball wollen. Dann werden Liveübertragungen von Frauen-Bundesligaspielen möglich sein.“ Acht von 18 Männer-Bundesligavereinen engagieren sich auch im Frauen-Fußball. „Dieses Engagement muss mit Herz erfolgen. Auch von den Anhängern. Sie müssen sich bewusst sein: Ich bin Fan dieses Vereins, nicht nur der Männer“, hofft Almuth Schult. Dass Borussia Dortmund und Schalke 04 mit dem Verweis darauf, Traditionsvereine zu sein, den Frauenfußball ablehnen, macht sie „wütend“. „Wenn man einer Sportart keine Chance gibt, wie soll sie dann Tradition entwickeln“, fragt sich die 28-Jährige. Und Martina Voss-Tecklenburg ist überzeugt: „Die großen Klubs haben es leichter. Sie werden künftig auch den Frauen-Fußball beherrschen.“ Rainer Koch erteilt der Idee, den Bundesligisten wie den Klubs der englischen Premier League die Stellung eines Frauenteams vorzuschreiben, eine Absage. „Dazu haben wir gar nicht das Recht. In England sind es die Sponsoren, die Druck machen. Nur mit Zwang geht es nicht. Vereine wie Schalke und der BVB werden irgendwann merken: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Mit der Bitte um Benennung ihrer Wünsche für den Frauenfußball in den kommenden 50 Jahren entlässt Christoph Dannowski seine Gesprächspartner. Dr. Koch hofft, „dass der Frauenfußball dauerhafter, nachhaltiger Bestandteil der deutschen Fußballfamilie wird.“ Almuth Schult wünscht sich, „dass wir uns in 50 Jahren nicht mehr die Frage stellen, was Tradition ist.“ Und Martina Voss-Tecklenburg würde es gefallen, wenn „Chancengleichheit auf allen Ebenen keine Frage des Geschlechts mehr sein würde.“

„Bedrohlicher Rückgang der Juniorinnen-Teams in Niedersachsen“
NFV-Präsident Günter Distelrat beleuchtet die Entwicklung des Frauenfußballs: In seiner Begrüßungsansprache hatte NFV-Präsident Günter Distelrath beim Krombacher Jahresempfang ein ausführliches Bild der Entwicklung des Frauenfußballs gezeichnet und dabei eine rasante Erfolgsgeschichte ebenso wie ein düsteres Gegenwartsszenario beschrieben. „Zwei Jahre nach der vollkommenen Aufhebung des Verbots waren 1972 bereits 111.579 weibliche Mitglieder und 1788 Frauenteams beim DFB registriert. Heute, also 48 Jahre später, sind beim Deutschen Fußball-Bund mit 1.105.785 Mitgliedern so viele Frauen und Mädchen gemeldet wie noch nie zuvor. Eine beeindruckende Zahl, die jedoch nicht über die offensichtlichen Probleme hinwegtäuschen kann. Der Fußball, bei den Jungs die Integrationsmaschine schlechthin, kommt bei den Mädchen nicht richtig ins Rollen. Noch immer entschließen sich viel zu wenige Mädchen mit Migrationshintergrund, a.) Fußball zu spielen und b.) einem Verein beizutreten“, bedauerte der Präsident. „Wie auch in anderen Landesverbänden ist die Zahl der Juniorinnen-Mannschaften in Niedersachsen bedrohlich zurückgegangen. Dies gilt vor allem ab dem Bereich der U 12, aber auch bei den C- und B-Juniorinnen-Mannschaften – in den letzten zehn Jahren durchweg ein Minus von rund 50 Prozent. Vergleichsweise bescheiden nehmen sich dagegen die Verluste bei den Frauenteams aus, wo die Zahl der spielenden Mannschaften in den vergangenen zehn Jahren nur um rund 15 Prozent gesunken ist“, so Distelrath. „Dieser Entwicklung versuchen wir natürlich entgegenzusteuern. Ein wichtiges Instrument ist hierbei der Tag des Mädchenfußballs, durch den wir 2019 mit 40 Veranstaltungen 118 neue Mitglieder für unsere Vereine gewinnen konnten. Doch wir müssen mehr tun, wenn wir die Entwicklung wieder positiv gestalten wollen und ich finde, gerade das diesjährige Jubiläumsjahr ist prädestiniert, kräftig die Werbetrommel zu rühren und auf die Bedeutung des Frauenfußballs für die Zukunft des Fußballs hinzuweisen“, weiß der Präsident um die Herausforderungen der Gegenwart. Die Talkgäste des Krombacher Jahresempfangs haben seine Sorgen später unisono geteilt.

Foto: NFV